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Der Weißstorch im Spannungsfeld zwischen Natur- und Tierschutz
Warum wir auch bei steigenden Bestandszahlen weiterhin Störche retten sollten.

 

ausgearbeitet und präsentiert von Frau A. Kaatz im Oktober 2025 (32. Sachsen-Anhaltischer Storchentag)

 

Menschen beurteilen ihre Mitgeschöpfe je nach Kulturkreis willkürlich unterschiedlich. Wir werden dahingehend mal deutlicher, mal subtiler, mal unabsichtlich aber oft gezielt beeinflusst - früher in Form von Geschichten, Sagen und Märchen, heute übernehmen diesen Job gerne mal die Medien.

Ein aktuelles Beispiel dazu ist ein Artikel aus der Zeitung „Badische Neue Nachrichten“, in dem der Storch mit dem emotional inzwischen sehr negativ beladenen Waschbären quasi gleichgesetzt wird . Das ist nicht nur fachlich totaler Unsinn, wenn man sich zum einen vor Augen führt, dass es fast 5 mal mehr Waschbären in Deutschland als Weißstörche in der ganzen Welt gibt und zum anderen selbst der große Waschbärenbestand in Deutschland (geschätzte 1,6 Millionen Tiere) auf Grund der omnivoren Lebensweise des Waschbären Untersuchungen des „Projekts Waschbär“ nach gar kein Problem für die heimische Biodiversität darstellt .

Hier wird offensichtlich einmal mehr versucht, das Image des Weißstorchs in der Bevölkerung negativ zu beeinflussen, um Rückhalt für oder sogar die Forderung nach „Managementmaßnahmen“ zu generieren.
Je mehr solcher Artikel erscheinen, desto eher sind wir bereit, sie als Tatsache anzuerkennen. Das passiert beinahe Beiläufig, ohne, dass wir uns dessen immer bewusst sind. Je häufiger ein Lebewesen – auch wenn es nur um ein ganz bestimmtes Individuum geht – positiv oder negativ dargestellt wird, desto verbreiteter und verfestigter werden Meinungen und Einstellungen nicht nur dem Individuum gegenüber, sondern dann werden schnell ganze Arten oder sogar Artgruppen über einen Kamm geschoren.

 

Eisbär Knut? Super niedlich! Problembär Bruno? Oh je, der war gefährlich, angsteinflößend, schrecklich!

 

 

Der böse Wolf frisst das Rotkäppchen, der Fuchs ist schlau, der Hund sogar der beste Freund des Menschen.

 

Biene Maja bringt seit Jahrzehnten Kindern bei, dass Bienen lieb und wichtig sind. Ihre Vetter, die Wespen, haben hingegen kein so positives Ansehen.

 

Das Schwein sehen wir eher als schmuddelig und vielleicht auch nicht ganz clever an, während wir Pferden Attribute wie stark, elegant, majestätisch und feinfühlig und intelligent zugestehen.

 

Krähen machen Krach und sind irgendwie unheimlich – wie alle schwarzen Tiere -, die Eule ist das Symbol der Weisheit, der Storch bringt die Kinder, die Taube wird beschimpft und verjagt.

 

Ich könnte noch einige weitere Zeilen auf diese Weise füllen.

Wie wenig Bestand diese kulturell bestimmte Einordnung von Tieren in Gut und Böse hat, wird schnell klar, wenn man einmal den Kulturkreis wechselt. Einer Kuh in Indien Leid zufügen? Keine gute Idee! Unser bester Freund im Kochtopf? In einigen Ländern der Welt immer noch völlig normal. Und auch im Wandel der Zeiten haben diese Kategorien nicht immer Bestand. So wandelte sich die Katze im Laufe von mehreren tausend Jahren von der Gottheit zur auf dem Rücken der Hexe sitzenden Ausgeburt des Teufels um heute eines der beliebtesten Haustiere weltweit zu werden.

 

Diese Kategorisierung der Tierwelt nach „gut“ und „böse“ führt automatisch zur Diskriminierung einiger Arten gegenüber anderen und insbesondere zu der Erhebung des Menschen über alle anderen Tiere. Das wiederum ist meiner Ansicht nach der Hauptgrund für die vorherrschende Entfremdung von der Natur.

 

 

Doch wie gerechtfertigt ist unser Überlegenheitsgefühl überhaupt?

Dass Tiere grundlegende Reize wahrnehmen können, angenehme Reize suchen und unangenehme vermeiden wollen, stellt hoffentlich niemand mehr in Frage, diese Fähigkeit ist schließlich überlebenswichtig. Doch auch höhere Gefühle wie Liebe, Trauer und Wut wurden bei Säugetieren wie Elefanten, Orcas und Hunden bereits nachgewiesen (einige Wissenschaftler vermuten sogar, dass sie diese Gefühle wesentlich intensiver empfinden können, als wir) . Auch Vögel sind zu Mitgefühl fähig, sie zeigen Empathie und lassen sich von der Laune ihrer Artgenossen anstecken.

Pessimismus bei Raben, die von erfolglosen Artgenossen entmutigt werden , wurde genauso nachgewiesen wie Trauer um verstorbene Artgenossen bei westlichen Buschhähern . Dreifarben-Glanzstare schließen Freundschaften . Weißkehlammerweibchen freuen sich über den Gesang von Artgenossen, während Männchen auf dieselben Klänge sehr unerfreut reagieren .

Aber wie sieht es aus mit Intelligenz und Lernfähigkeit, Werkzeugnutzung und Zukunftsplanung und der Fähigkeit das eigene Verhalten an verschieden Situationen flexibel anzupassen? Es dürfte nach der Vorrede keine Überraschung mehr sein, aber auch mit diesen Fähigkeiten sind wir im Tierreich nicht einzigartig.

Vögel sind nachweislich intelligent, obwohl ihre Gehirne anders aufgebaut sind, als die von Säugetieren. Anstelle unseres Präfrontalcortex basieren ihre höheren kognitiven Fähigkeiten auf dem Pallium, das ebenso wie unser toller Neocortex über eine Vielzahl assoziativer Neuronen für die Vernetzung wichtiger Bereiche, ein sensorisches Areal für die Verarbeitung von Wahrnehmungen, dopaminerge Bahnen für den positiven Kick beim Lernen und ein Arbeitsgedächtnis mit einer ähnlichen Kapazität wie bei Säugetieren verfügt.

Dazu kommt, dass die bloße Anzahl der Nervenzellen im Vogelhirn doppelt bis dreimal so hoch ist wie bei Säugetieren, sie für deren Versorgung aber nur ein Drittel der Energie benötigen, die Säugetiere für die Versorgung ihres vermeintlich überlegenen Gehirns aufwenden müssen.  Wir können also froh sein, dass Vogelgehirne so klein sind, ansonsten würden sie wahrscheinlich uns als Haustiere halten. Angesichts dessen ist es also nicht mehr verwunderlich, dass auch Vögel zu höheren kognitiven Fähigkeiten im Stande sind.

Raben z.B. in die Zukunft planen , Krähen benutzen Werkzeuge zur Problemlösung und passen auf „wertvollere“ (=effizientere) Werkzeuge besser auf als auf weniger wertvolle . Tauben können lesen lernen und echte Wörter von nicht-Wörtern unterscheiden. Sie machen beim Lesen sogar dieselben Fehler wie wir bzw. ist ihr Gehirn, genau wie unseres, flexibel genug, um Buchstabendreher zu überlesen und das Wort trotzdem zu erkennen.

Wnen Sie das lseen kenönn, snid Sie so iletlnginet wie enie Tubae.

Sprache, Traditionen, Kultur, wer denkt, jetzt komme ich endlich auf den Unterschied zwischen Mensch und Tier zu sprechen, den muss ich erneut enttäuschen. Auch diesbezüglich konnten uns Tiere schon überraschen.  
Wir müssen uns also eingestehen, dass wir gar nicht so viel großartiger als unsere Mitgeschöpfe sind. Und trotzdem sind wir aus unserem Überlegenheitsgefühl heraus der Meinung, wir hätten das Recht uns alles anzueignen, was die Erde so hergibt.

Natürlich verändern wir unseren Lebensraum so, dass er für uns besonders vorteilhaft wird. Das ist bis zu einem gewissen Grad Normalität in der Natur. Jedes Lebewesen formt seine Umwelt durch seine bloße Existenz. Wir alle wollen das Beste aus der Umwelt für unser Überleben herausholen. Die Existenz eines jeden noch so kleinen Lebewesens auf diesem Planeten wirkt sich damit immer auch nachteilig auf das Leben anderer Lebewesen aus. That’s Life. James Bond und Paul McCartney würden dazu sagen: „Live and let die“.

 

Wir Menschen neigen aber zur Übertreibung. Momentan sind wir die determinierende Größe für Veränderungen in der Umwelt. Wir bestimmen, woran sich der Rest der belebten Natur anpassen muss. Das Wort „Anthropozän“ für die Benennung eines neuen Erdzeitalters wurde zwar im vergangenen Jahr abgelehnt, aber der Begriff hat durchaus Einzug in den wissenschaftlichen und populärwissenschaftlichen Sprachgebrauch gefunden.

Nur weil wir dazu in der Lage sind, die Erde nach unseren Wünschen und Vorstellungen zu formen, gibt uns das aber kein Recht, zu entscheiden, wen wir an der Anpassung hindern und wen nicht. Im Gegenteil sollte es eigentlich unsere Pflicht sein, dass wir uns bewusst etwas zurücknehmen. Intelligent genug sollten wir dafür ja sein. Doch anstatt das in die Tat umzusetzen, machen wir uns lieber Gedanken darüber, wie wir den Fortpflanzungserfolg anderer Arten beeinflussen wollen und das geschieht eben immer basierend auf unseren Vorurteilen. Ab wann das Recht auf Leben gilt, bei dieser Frage sind sich noch nicht einmal Menschen in Bezug auf das menschliche Leben einig. Eigentlich müssen wir uns aber diese Frage in Deutschland gar nicht mehr stellen. Diese grundlegende ethische Wertordnung existiert nämlich bereits und aus ihr wurden sogar schon rechtliche und moralische Normen für uns abgeleitet.

Unser Grundgesetz ist z.B. so eine rechtliche Norm. Dort wird in Artikel 20a ganz klar festgelegt: „Der Staat schützt auch in Verantwortung für die künftigen Generationen die natürlichen Lebensgrundlagen und die Tiere im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung durch die Gesetzgebung und nach Maßgabe von Gesetz und Recht durch die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung.“ Der Tierschutz wird hier also als eigenständiges Schutzgut anerkannt und bezieht sich auf jedes Individuum. Das jedes einzelne Tier ein Schutzrecht genießt, und zwar unabhängig von der Größe der zugehörigen Population.

Dahingehend hat der Europäische Gerichtshof erst vor zwei Monaten ein richtungsweisendes Urteil gefällt . Dabei ging es um ein Verbot forstwirtschaftlicher Tätigkeiten während der Brutzeit in einem Waldgebiet in Estland, bei dem Individuen sogenannter „Allerweltsarten“ hätten zu Schaden kommen können. Anhang I- Arten der Vogelschutzrichtlinie, denen in Europa ein besonders strenger Schutz zugesichert wird, waren dabei explizit nicht betroffen. Dabei ging es um ein Verbot forstwirtschaftlicher Tätigkeiten während der Brutzeit in einem Waldgebiet in Estland, bei dem Individuen sogenannter „Allerweltsarten“ hätten zu Schaden kommen können. Anhang I- Arten der Vogelschutzrichtlinie, denen in Europa ein besonders strenger Schutz zugesichert wird, waren dabei explizit nicht betroffen.

Es spielt also weder für die EU noch für den Deutschen Staat eine Rolle, ob ein Tier einer gefährdeten Art angehört oder nicht. Es hat in jedem Fall das Recht auf Leben und Unversehrtheit. Das bedeutet auch, dass Artenschutzbelange nicht zulasten des individuellen Tierschutzes gehen dürfen, auch wenn das im Einzelfall zu einem moralischen Dilemma führen kann.

Wie die konkrete Durchführung unseres Grundgesetztes zu gestalten ist, dafür gibt es weitere gesetzliche Regelungen. Das Bundesnaturschutzgesetz z.B. und auch unser Tierschutzgesetz.
Das TierSchG betont gleich in § 1: „Niemand darf einem Tier ohne vernünftigen Grund Schmerzen, Leiden oder Schäden zufügen.“ Was ein „vernünftiger“ Grund ist, darüber wird im Zweifelsfall gestritten. Aber „Die Population ist groß genug“ dürfte nach dem aktuellen EUGH-Urteil zweifelsfrei kein vernünftiger Grund sein, um ein Tier leiden oder sterben zu lassen.

Natürlich ist die Natur nicht immer nett und wir können auch nicht überall eingreifen. Ein zu vorschnelles Eingreifen wäre zudem ebenfalls kontraproduktiv, denn dann würden wir der natürlichen Selektion ebenfalls die Chance verwehren zu wirken. Doch den Stimmen, die behaupten, dass das Leben oder Sterben des Individuums im Populationskontext überhaupt keinen Unterschied macht, möchte ich zumindest in Teilen widersprechen. Eine hohe Populationsdichte sagt nichts über den Gesundheitszustand der Population aus!

Lange hat man angenommen, dass Evolution immer vorteilhafte Mutationen favorisiert. In gut durchmischten, großen Populationen ist es in der Regel auch so, dass ungünstige Mutationen mit der Zeit verdrängt werden. Forschende des Max-Planck-Instituts für Evolutionsbiologie haben allerdings in einer im März diesen Jahres veröffentlichten Studie darauf hingewiesen, dass einige Populationsstrukturen das Fortbestehen nachteiliger Mutationen begünstigen und so zu einer langfristigen Verfestigung eines „schlechten“ Gens in der Population führen können .

Dabei gebe ich zu bedenken, dass Populationen, in die der Mensch aktiv eingreift, früher oder später in keinem Fall mehr gut durchmischt sind. Ein gut greifbares Extrembeispiel hierfür ist jegliche Form von Zucht. So deutlich und für uns bewusst müssen wir aber gar nicht selektieren, um Schaden anzurichten. Bereits durch den Umgang mit unserer Umwelt haben wir möglicherweise die Entstehung negativer Mutationen und deren Ausbreitung in Weißstorchteilpopulationen begünstigt. Ich denke da besonders an die Folgen der Nahrungsaufnahme auf Mülldeponien, von denen die Westzieherpopulation aktuell noch weit stärker betroffen ist, als die Ostzieherpopulation.

Auch Extremwetterereignisse (die sich durch den menschengemachten Klimawandel häufen), chemische Verschmutzung, Wasserknappheit, eine veränderte Landnutzung, all diese und weitere Einflüsse verursachen unter anderem oxidativen Stress . Dieser wiederum ist nachweislich mit einem erhöhten Risiko für Genmutationen bis hin zu Krebs verknüpft. Bei spanischen Weißstorchküken wurde bereits nachgewiesen, dass die Supplementierung von Antioxidantien die Verkürzung der Telomere deutlich reduziert , was die Theorie stützt, dass oxidativer Stress bei Weißstörchen zu Änderungen an den Chromosomen, also auch zu genetischen Veränderungen führt. Telomere sind stark vereinfacht die Schutzkappen der Enden der Chromosomen. Sie schützen diese davor, auszufransen und sich zu verheddern. Bei jeder Zellteilung verkürzen sich die Telomere geringfügig, bis sie so kurz werden, dass sich die Zelle nicht mehr teilen kann und stirbt. Telomere haben also auch einen Einfluss auf die Gesamtlebenserwartung eines Lebewesens.

Wir müssen anerkennen, dass wir Schaden angerichtet haben. Einige Arten kommen damit besser zurecht als andere. Der Weißstorch gehört – noch – zu ersteren. Dennoch wäre es fatal, ihn jetzt sich selbst zu überlassen. Populationsmodelle prognostizieren für die Region Madrid unter Berücksichtigung des Fortschreitens des Klimawandels und der zunehmenden Urbanisierung bei Schließung der Mülldeponien, wie sie die EU-Deponieverordnung von 1999 fordert, einen dramatischen Rückgang der Weißstorchpopulation auf Werte, die denen des Zensus im Jahr 1984 entsprechen . Es kann also auch in Baden-Württemberg schnell wieder ruhig und sauber werden, wenn in Spanien EU-Recht rigoros umsetzt.

In Deutschland haben wir (hoffentlich) keine offenen Deponien mehr. Stattdessen suchen sich unsere Brutstörche da, wo die natürliche Nahrungsgrundlage nicht ausreicht, das nächstbeste Pendant – Kompostierungsanlagen. Die unmittelbaren Folgen (Verstümmelung, Vergiftung und Tod) sind bekannt. Die mittelbaren, möglicherweise durch aufgenommene Chemikalien aus Kunststoffen ausgelösten Veränderungen im Storch und die langfristigen Auswirkungen der sog. Plastikose, sind noch völlig unzureichend untersucht.

Ein Teil der Lösung dieses Problems könnte eine Verbesserung des Nahrungsangebotes in der Landschaft sein. In einer polnischen Studie wurde nachgewiesen, dass Störche, die die Wahl haben, lieber auf natürlichen Flächen nach Nahrung suchen. Nur bei sehr hohem Nahrungsbedarf während der späteren Aufzuchtphasen suchten die Vögel Deponien auf und auch das erst 8 Stunden nach Sonnenaufgang – vorher fanden sie ausreichend Nahrung auf den feuchten Wiesenflächen.

Wenn wir uns den Ökosystematlas von Deutschland  ansehen, wird auf den ersten Blick klar, dass ein Großteil der Landesfläche agrarisch genutzt wird, 50,2% um genau zu sein. Das können wir zu unserem Vorteil nutzen, es ist aber ein ganz klares Plädoyer für mehr Natur in der Agrarlandschaft.

 

Sollten Sie landwirtschaftlich genutzte Flächen in Ihrem Eigentum haben, aber nicht so recht wissen, wie sie dort mehr Naturschutz realisieren können, gibt es z.B. das Beratungsangebot „Fairpachten“ des NABU , das Ihnen dabei behilflich sein kann.

-> (Weitere Informationen - Extrakt aus der Präsentation)

Fakt ist, wir brauchen natürliche Grundlagen, die allen Arten ausreichend Nahrung, Schutz und Fortpflanzungsraum bieten. Dafür müssen wir Menschen Einschränkungen in Kauf nehmen.
Wir sollten kontinuierlich Öffentlichkeitsarbeit betreiben und zwar nicht im alten Stil Gute Tiere gegen Böse Tiere, sondern für ein Recht auf Leben und Unversehrtheit für alle Tiere. Das heißt, speziell auf den Weißstorch bezogen auch, dass fachlich versierte Gegendarstellungen zu völlig unsinnigen Pressemitteilungen und Social-Media-Posts notwendig werden können.

Wir sollten uns dennoch nicht verleiten lassen, vorschnell in das Brutgeschehen einzugreifen (ohnehin ist das rechtlich untersagt!). Ein bisschen natürliche Selektion muss schon noch möglich sein. Ich bin z.B. nicht für eine vorsorgliche Entnahme von Storchenküken aus Nestern weil Starkregen angekündigt ist, ich denke aber schon, dass jedem hilflosen und verletzten Storch, soweit möglich, geholfen werden sollte, wobei die Kapazitätsgrenze der Auffangstationen die Möglichkeiten zur Hilfeleistung ohnehin limitiert.

Hierzu eine kleine Bitte:

Wenn Sie sich selbst nicht sicher sind, ob einem Tier überhaupt geholfen werden kann, lassen Sie sich beraten – von Tierärzten oder holen sie sich die Einschätzung der Auffangstation ein, bevor Sie das Tier dort abliefern. Wälzen Sie bitte nicht die gesamte Verantwortung und Arbeit auf die Auffangstation ab. Das verursacht auch bei dem betroffenen Tier unter Umständen nur unnötigen Stress und verlängertes Leiden.

Grundsätzlich ist die Lebenserhaltung dem Tod vorzuziehen, manchmal ist der Tod, so sehr wir uns auch vor dieser Entscheidung sträuben, aber trotzdem die bessere Alternative. Die Zeit für eine gründliche Abwägung der Umstände und Beurteilung der Zustandsentwicklung muss aber immer vorhanden sein. Störche sind, wie fast alle Wildtiere, unglaublich zäh und anpassungsfähig und manche Verletzung, die anfangs wenig Anlass zur Hoffnung bietet, kann überwunden werden, ohne, dass die langfristige Lebensqualität stark darunter leidet. Jedes Tier hat eine Chance auf ein Leben in Freiheit verdient. Wir sind nicht immer in der Lage, zu beurteilen, ob eine Beeinträchtigung das Leben in der freien Wildbahn unmöglich macht.

Für den Storchenhof bedeutet das konkret: Wir werden selbstverständlich auch zukünftig Störche und andere hilfsbedürftige Vögel in unserer Auffangstation aufnehmen, pflegen und versuchen, sie wieder auszuwildern. Die Notwendigkeit und die moralische Verpflichtung dazu sind vorhanden. Wir leisten damit auch einen Teil Wiedergutmachung für all die menschlichen Verfehlungen, unter denen die Störche in Deutschland zu leiden haben.

Ich sehe im Übrigen auch den Staat in der Pflicht, Auffangstationen zu finanzieren, wenn er die Umsetzung seiner ethischen Grundprinzipien und rechtlichen und moralischen Grundsätze gewährleisten will, die er sich selbst ins Grundgesetz geschrieben hat.

Wir bauen mit der Unterscheidung nach Naturschutz, Artenschutz und Tierschutz eine unnatürliche und gleichzeitig unnötige Überlegensheitshierarchie auf, die der Realität eigentlich nicht stand halten kann. Naturschutz bemüht sich um den Erhalt der Biodiversität, also der Artenvielfalt. Ohne Arten gibt es keine Artenvielfalt, also funktioniert Naturschutz nicht ohne Artenschutz. Arten bestehen aus Individuen. Ich kann eine Art nicht losgelöst von ihren Individuen schützen. Um den Individuenschutz kümmert sich der Tierschutz. Eine  Konkurrenz oder gar Gegensätze sind dabei nicht erkennbar, sondern im Gegenteil nur gegenseitige Bedingung und Zusammenspiel. Sicher ist es nötig, das Wohl vieler auch mal über das Wohl des einzelnen zu stellen, aber hier eine Wertehierarchie hineinzuinterpretieren und sich darüber womöglich noch zu zerstreiten, ist falsch und für alle Beteiligten nicht zielführend.

 

 

In diesem Sinne: Leben Sie lang und in Frieden.

Antje Kaatz

VSW Storchenhof Loburg e.V.

 

Literaturverzeichnis

[1] Vorsicht bei Waschbär und Weißstorch: Sympathie darf beim Naturschutz nicht die Hauptrolle spielen

[1] Projekt Waschbär

[1] Negative emotional contagion and cognitive bias in common ravens (Corvus corax):

[1] Western scrub-jay funerals: cacophonous aggregations in response to dead conspecifics

[1] A cryptic role for reciprocal helping in a cooperatively breeding bird

[1] Birdsong: is it music to their ears?

[1] Schlaue Vögel denken smart und sparsam

[1] Ravens parallel great apes in flexible planning for tool-use and bartering

[1] New Caledonian crows keep ‘valuable’ hooked tools safer than basic non-hooked tools

[1] Orthographic processing in pigeons (Columba livia)

[1] Unterschiedliche Beutevorlieben bei benachbarten Bonobogruppen

Insekten mit Traditionen? Ausbreitung eines Verhaltens durch soziales Lernen bei Hummeln

Kultur bei Kakadus: Wie sich ein innovatives Verhalten rasant verbreitet

Erstmals im Tierreich beobachtet: Elefanten nennen sich beim Namen

[1] Urteil des Europäischen Gerichtshofes zum Vogelschutz vom 01.08.2025

[1] Graph-structured populations elucidate the role of deleterious mutations in long-term evolution

[1] Life at new extremes: Integrating stress physiology and the bio-exposome in the Anthropocene

[1] Antioxidant supplementation slows telomere shortening in free-living white stork chicks

[1] Drastic reduction of the population distribution of White Storks predicted in absence of landfills:

[1] Impact of land cover and landfills on the breeding effect and nest occupancy of the white stork in Poland

[1] Ökosystematlas Deutschland

[1] NABU Fairpachten

 

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